Bienen – ein Symbol für die Gefährdung der Artenvielfalt
25. Juni 2018Gefährdung und die Rote Liste
25. Juni 2018Insekten werden von Licht angezogen – das weiß jedes Kind. „Warum ist das eigentlich so?“, frage ich – und befürchte, dass das eine wirklich dumme Frage ist. Erstaunlicherweise bekomme ich zur Antwort: „Das weiß man noch gar nicht genau.“ Es kann sein, dass Insekten das Licht als Mond missverstehen und sich nach ihm orientieren. In der Natur, in der der Mond ja näherungsweise unendlich weit entfernt ist, können Insekten dadurch gezielt geradeaus fliegen, damit sie einen konstanten Winkel zum Mond einhalten. Eine Lampe dagegen haben sie schnell erreicht. Das machen sich Insektenforscher – sogenannte Entomologen – zu Nutze. Dazu gehört auch Dr. Andreas Segerer, Schmetterlingsexperte an der Zoologischen Staatssammlung in München, mit dem ich heute Abend unterwegs bin.
Mit Neonlicht, Batterie, Netz, Taschenlampe, Zettel und Stift ausgestattet machen wir uns kurz vor 22:00 auf den Weg in eine Wiese am Ammersee. Kleinste Temperaturunterschiede haben großen Einfluss darauf, welche und wie viele Schmetterlinge aktiv sind, denn Schmetterlinge mögen es nicht nur tagsüber warm. Bevor wir die Lichtfallen aufbauen achtet Segerer daher genau darauf, welche Stelle etwas wärmer ist als das Umfeld.
Dann geht es los: Eine Art Zeltstange wird im Boden befestigt, an welche ein Neonlicht gehängt wird, welches über eine Batterie betrieben wird. Dann wird über diese Konstruktion ein großes, tonnenförmiges Netz gezogen, welches oben geschlossen ist. So werden die Insekten zum Licht gezogen aber werden vom Netz aufgehalten. Dort sitzen sie und man kann sie gut mit Hilfe einer Taschenlampe ansehen und bestimmen.
Sobald das Licht angeschaltet ist, fliegen die ersten Insekten schon auf das Netz: Mücken, Käfer, Heuschrecken – und viele Schmetterlinge; darunter v. a. Arten, die ich in meinem Leben noch nie gesehen habe: Zum Beispiel der schnell flatternde, kleine, wollig-weich aussehende Helle Moor-Sackträger (Megalophanes viciella), dessen Larven wie bei der Köcherfliege in einer Art Sack aus Pflanzenteilen leben. Nur die Männchen – die nur wenige Stunden leben – können fliegen. Ich habe etwas Mitleid mit den Männchen, die am Licht „gefangen“ bleiben – sie verlieren wertvolle Lebenszeit, um ein Weibchen zu finden. Sehr viel schlimmer sind natürlich all die Lichtstrahler im ganzen Land, welche die Insekten von ihrem eigentlichen Weg ablenken. Wie viele Hunderte von Millionen von Insekten dadurch wohl nicht rechtzeitig zu einem Weibchen finden?
Viele andere Schmetterlinge bekomme ich zu sehen, deren Bezeichnung ich sofort wieder vergesse, weil sie nur lateinische Namen haben. Darunter sind viele sehr kleine Tiere die maximal 5 mm lang sind. „Mehr als 60 % aller Schmetterlinge sind so klein oder kleiner“, erklärt Segerer – und weist als Beispiel auf einen eindeutigen Unterschied zwischen zwei für mich fast gleich-aussehenden Winzlings-Arten hin.
Die meisten Hobby-Schmetterlingsexperten fokussieren sich auf Tagfalter; das lässt eine große Anzahl an Schmetterlingen außen vor. Auch gibt es keine einheitliche Methode der Kartierung. Dadurch lassen sich die erhobenen Bestandszahlen schwer vergleichen. Deswegen wissen wir auch nicht genau, wie es um die Schmetterlinge in Deutschland bestellt ist. Aber alle Studien zeigen einen dramatischen Artenrückgang von 39 – 73%. Da ist es im Grunde zu spät, einheitliche Kartierungsmethoden zu entwickeln, meint Segerer. Statt uns mit Methodik aufzuhalten kommt es jetzt v. a. darauf an, die bedrohten Arten so schnell und effektiv wie möglich zu schützen. Und das einzig effektive Mittel hierzu ist, ihre Lebensräume zu schützen.
Bald ist es Mitternacht; dringend Zeit, schlafen zu gehen, zumal ich schon um 5:30 aufgestanden bin. Aber ich will nicht eingestehen, dass ich im Grunde ins Bett gehöre – wie oft hat man schon die Gelegenheit, so viele neue wunderschöne Schmetterlingsarten mit einem DER Schmetterlingsexperten Deutschlands zu sehen?! Wer weiß was ich verpassen würde, wenn ich jetzt nach Hause fahren würde?! Und tatsächlich, kurz darauf werde ich belohnt: Eine Kupferglucke (Gastropacha quercifolia Linnaeus, 1758; Familie Lasiocampidae) sitzt auf dem Netz. Ein ganz fantastischer Schmetterling, den man sonst wohl kaum je finden würde – sieht er doch aus wie ein totes Blatt.
Unglaublich, was die Natur im Laufe der Evolution hervorgebracht hat – direkt unter unserer Nase – und die meisten von uns haben die Kupferglucke oder andere faszinierende Wesen noch nie gesehen. Was gibt oder gab es sonst noch in der Wiese in der wir stehen? Und was gibt oder gab es in der Wiese nebenan, die jetzt als Gewerbegebiet bebaut wird und in der Wiese die zum Maisfeld umgepflügt wurde? Wer weiß schon, welche Arten wir verlieren? Wenn wir nicht wissen, welche Arten es gibt, dann vermissen wir sie auch nicht.
Andreas Segerer hat dieses Problem nicht. Er begeistert sich schon seit Jahrzehnten für Schmetterlinge. Genau genommen begann er mit 5 Jahren mit seiner Leidenschaft. Das hat ihm genügend Zeit gegeben, inzwischen einer der bekanntesten Schmetterlingsexperten Deutschlands zu sein. Er kann etwa die Hälfte der ca. 3.700 Arten, die in Deutschland vorkommen, im Feld bestimmen – den Rest nimmt er mit ins Labor, um sie dort näher unter die Lupe zu nehmen. Dabei ärgert er sich: „Es wird uns unwahrscheinlich schwer gemacht, einzelne Schmetterlinge zu sammeln. Dabei sind doch unsere Daten dringend notwendig, um zu wissen, wie sich die Bestände verändern! Gleichzeitig regt sich niemand auf, wenn jemand Auto-fährt – und dadurch sehr viel mehr Schmetterlinge und andere Tiere tötet!“ Der Rückgang der Schmetterlinge ist sicherlich nicht durch das Sammeln einiger Entomologen verursacht. Doch davon mehr in einem anderen Post.